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Magazin: see you

Klett Verlag Stuttgart
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Die Hafermehl-Olympiade​​

 

Der Einmarsch

Römischen Gladiatoren gleich marschieren sie auf dem Spielfeld ein. Der Gleichschritt von dreißig Schwer-gewichts-Athleten lässt den Boden der Arena förmlich erbeben. Kraftstrotzende Muskelpakete walzen mit ihren ledernen Armbändern über den Rasen. Einzelkämpfer wie sie im Buche stehen. Weit ausgeschnittene T-Shirts betonen die Nackenmuskeln, die Kopf und Oberkörper der Kämpfer ohne Verjüngung ineinander übergehen lassen. Hier zählen Stiernacken und möglichst weit aus dem übrigen Körperbau herausstehende Muskelmasse. „Männlichkeit“ von oben bis unten. Unwillkürlich nehmen Assoziationen vor meinem geistigen Auge Gestalt an zu Walt Disneys Elefantenpatrouille aus dem „Dschungelbuch“. Marschiert die ganze Kolonne doch im Gleichschritt zum dröhnenden Klang des kompletten Dudelsackregiments der Atholl Highlanders. Gegen etwa sechzig „Pipes“ hat selbst ein noch so entfesseltes Publikum akustisch keine Chance. Eine Ehrenrunde wird gedreht, um sich der Menge vorzustellen, dann folgen ein kurzes Posieren für die Fotografen und die Vorstellung der Wettkämpfer über Lautsprecher. Klangvolle Namen tönen aus den Megaphonen: Wrestling Kid, Highland Joe, Caber-Gary, Rumbling Willie und so weiter. Nur die Sportschuhe einer bekannten Firma aus USA wollten so gar nicht zum Schottenrock passen. Und dann mitten unter diesen Hochland-Bären: eine Frau. Sei kämpft seit Jahren, wie sie mir sagt, nicht nur mit um die Titel, sondern gleichzeitig natürlich für die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts (in dieser Berufssparte). Die Spannung wächst ...

 

Stämme-Werfen (Tossing the caber)

Da kommen zunächst als spektakulärste Aktion die Baumstammwerfer zum Zuge. Ein etwa sechs bis sieben Meter langer Baumstamm wird von zwei Kampfesgehilfen herein getragen. Die Regeln sagen hierzu: „ Es gibt keine Richtlinie für Gewicht und Größe des Stammes. Er muss nur so schwer und so lang sein, dass es jenseits normaler Kräfte liegt, ihn hoch zu heben, so dass der „caber“ nur von den allerbesten Athleten geworfen (turned) werden kann.

 

Nach dem Aufrichten des „Caber“ tritt der Athlet an das Holz heran. Er greift unter die Stirnseite und hebt sein Wurfgeschoss an. Nun kommt aber die Geschicklichkeit des Balancierens hinzu. Nebenbei muss der Werfer darauf achten, dass er nicht selbst vom Stamm erschlagen wird. Es gibt keine Arealsgrenzen, der Athlet kann jeden beliebigen Abwurfpunkt wählen, natürlich ohne andere zu gefährden. Aber es wäre zu einfach, den Stamm jetzt nur so weit als möglich zu werfen. Es gilt einen Überschlag (turn) zu „werfen“, bei dem der Stamm nach dem Überkippen wie der Zeiger einer Uhr nach Möglichkeit auf „12 Uhr“ zu liegen kommt. Der Sieg kommt demjenigen zu, der möglichst nahe an diese Zeigerstellung heran wirft.

 

Die anderen Disziplinen

An den vier Eckpunkten der Wettkampfgründe sorgen die Dudelsackpfeifer unverdrossen für die Hintergrundstimmung. Zwar spielt jeder seine eigenen Lieder, die sich aber aufgrund der Lautstärke in der Mitte des Feldes zu einem triumphalen Klangerlebnis vereinigen.

 

Für den Highland-Game-Laien folgt ein regelrechtes „Spiel ohne Grenzen“. Auf Anhieb sind die Spielregeln jetzt recht einfach zu durchschauen, denn nun kommen alle Arten des einfachen Weitwurfes. So weit, so hoch oder so schnell wie möglich. Man schleudert Felsbrocken und gusseiserne Kugeln, die an mittelalterliche Kanonenkugeln erinnern. Das Hammerwerfen macht seinem Namen alle Ehre, denn was da durch die Lüfte wirbelte, sind echte Vorschlaghämmer und mittelalterliche Streitäxte. Auch die an langen Stielen befestigten Eisenkugeln erinnern eher an Morgensterne der edlen Herren Ritter aus früheren Tagen denn an Wettkampfgeräte.

Das Thema Sicherheit 

und körperliche Unversehrtheit wird in einer der allgemeinen Spielregeln kurz abgehandelt: Im Interesse der Sicherheit haben der Kampfrichter das Recht, Teilnehmer zu disqualifizieren, die ihrer Meinung nach in den Schweren Disziplinen den geforderten Vorsichtsmaßnahmen nicht nachkommen. Alle Teilnehmer haben den Wettbewerb im Rock (Kilt) anzutreten.

 

Jedenfalls scheint es keinerlei Respekt vor der Auswahl der Wurfgeschosse zu geben. Alles was in irgendeiner Form zum Fliegen geeignet zu sein scheint, ist gerade recht. Auch vor Lebensmitteln macht der ortsansässige Sport nicht Halt: Alte Highland-Game-Hasen haben mir glaubhaft versichert, dass auch heute noch mancherorts der Haggis-Weitwurf praktiziert würde. Haggis sind jene in Schottland so berühmten kuhmagengroßen Hartwürste, die bezüglich ihres Geschmacks nicht nur unter Reisenden viel und ausgedehnt diskutiert werden. So scheinen sie aber allemal zu handfester Unterhaltung tauglich zu sein.

 

Epilog auf die Hartwurst

Die Ursprünge und Zwecke mittelalterlicher Kampfgeräte sind uns allen ja landläufig bekannt. Die Gründe dafür, dass man die Spiele in Schottland oft immer noch als Hafermehl-Olympiade bezeichnet findet man jedoch in einem Kochbuch aus dem 18. Jahrhundert.

 

Haggis:

Nach dem gründlichen Reinigen des Magens eines Schafes werden die Eingeweide erhitzt und die Leber gekocht, bis sie körnig wird. Danach werden der Reihe nach getrocknetes Hafermehl, zerhackte Stücke der Eingeweide, kleingehackte Zwiebeln und reichlich Nierenfett hinzugegeben. Nach dem abermaligen Unterrühren von getrocknetem Hafermehl und Zufügen von Rindfleisch in kleinen Stücken folgt das Abschmecken unter Hinzufügen verschiedener Gewürze und Salz. Aus dem Kochwasser der Eingeweide stellt man nun eine kräftige Brühe her, die anschließend zusammen mit allem Haggisfleisch in den Schafsmagen gefüllt wird. Nach Auspressen aller Luft wird der Sack vernäht und etwa zwei Stunden gekocht: Fertig ist der König der Würste (Chieftain o´the puddin-race - Häupling der Würstewelt). Nicht fragen, sondern essen. Oder ganz weit werfen....

Text und Fotos Klaus Richter

Copyright Klaus Richter Fotografie
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